Redaktion der pilger

Mittwoch, 24. August 2022

„Wir haben Spaltungen hinter uns“

Pastoralreferent Michael Thurn (oben) und der Frankfurter Stadtdekan Johannes zu Eltz. (Fotos: A. Zegelmann/Bistum Limburg)

Die Frage nach Homosexualität sollte jede Pfarrgemeinde beschäftigen

Das Thema Homosexualität in der katholischen Kirche geht jeden etwas an, sagen der Frankfurter Stadtdekan Johannes zu Eltz und Michael Thurn, Bezirksreferent für die Stadtkirche. Es gehe dabei nicht nur um Segnungen, sondern um die Frage, wie Kirche heute sein kann und sein muss.

Wie viele schwule und lesbische Paare kommen zu Ihnen und wünschen sich eine Segnung?

Zu Eltz: Zu mir kommt tatsächlich niemand, weil die Leute meine Position dazu kennen: Ich werde nicht ohne die Erlaubnis des Bischofs Paare segnen. Aber ich weiß, dass es Segnungen von homosexuellen Paaren in Frankfurt gibt. Die gehen auf die vorauseilende Initiative einzelner Seelsorger zurück.

Welche Rolle spielt die Diskussion um die Haltung der Kirche zur Homosexualität in den Gemeinden?

Thurn: Eine wichtige. Gerade die Initiative #OutinChurch Anfang des Jahres hat noch einmal einen wichtigen Schwerpunkt gesetzt. Da geht es um die Frage des Arbeitsrechts für die Kolleginnen und Kollegen im kirchlichen Dienst. In einigen Pfarreien gab es Veranstaltungen dazu und viele haben sich der Forderung des Stadtsynodalrats angeschlossen, die Grundordnung entsprechend zu überarbeiten.

Es gibt aber auch Kirchenmitglieder, die sagen, das Thema werde viel zu wichtig genommen.

Zu Eltz:
Wenn wir über unsere Haltung zu Segnungsfeiern für gleichgeschlechtliche Paare sprechen, geht es um etwas Grundsätzliches. Wir reden dann über unser Menschenbild und die ethische Dimension von Beziehungen. Wir reden nie nur im engeren Sinne über Homosexualität, sondern immer auch über das, wie Kirche in der Welt heute sein kann und sein muss. Daher ist es eine große Frage, an der viel hängt.

Und daher sollte sich jede Gemeinde damit befassen?

Zu Eltz:
Ja. Ich denke, dass die Aufgeschlossenheit dafür in unseren Gemeinden groß ist – bei allen Unterschieden im Detail. Natürlich wird es auch solche geben, die finden, dass das Thema durch den Heiligen Stuhl ausreichend geklärt worden ist. Aber man muss kein Fan von Inklusionsdebatten sein, um zu sagen: Lasst uns doch einfach mal auf das hören, was homosexuelle Menschen aufgrund ihrer eigenen Diskriminierungsgeschichte zu sagen haben und was sie sich wünschen. Darauf müssen wir nicht gleich mit Abwehrreflexen reagieren.
 
Als Priester und Pastoralreferent stehen Sie bei der Frage nach der Haltung zur Homosexualität im Spagat zwischen Seelsorge und Kirchenrecht. Wie halten Sie da die Balance?

Thurn:
Die Balance kommt an ein Ende, wenn ich mich für oder gegen Diskriminierung entscheiden muss. Diese Entscheidung ist am Ende klar.

Zu Eltz:
Es muss immer eine Priorität des Seelsorglichen vor dem Ordnungsdenken geben – in allem. Das ergibt sich einfach aus dem Evangelium. Die Anwendung von kirchlichen Gesetzen, die Frage nach Erlaubnis und Verbot, kann immer nur der zweite Gedanke sein. Als Erstes steht die Frage: Wer ist der Mensch? Wie ist seiner Seele zu helfen? Womit lassen sich Verletzungen heilen? Der letzte Kanon des Kirchenrechts spricht ausdrücklich davon, dass bei aller Anwendung von kirchenrechtlichen Normen das Heil der Seelen im Vordergrund stehen muss.

Hat die Diskussion um Homosexualität Spaltpotenzial?

Zu Eltz:
Die Diskussion nicht. Die Doktrin schon. Auf jeden Fall. Sogar ein sehr großes. Sie hat nämlich schon eine große Menge von Leuten abgespalten, die die Unbeweglichkeit der Kirche just in dieser Frage zum Anlass genommen haben, sich von ihr zu trennen. Wir haben nicht nur Spaltungen vor der Brust, wir haben leider schon große Spaltungen hinter uns.

In den Gemeinden gibt es auch Gläubige, die nicht genau wissen, wie sie sich in der Debatte verhalten sollen.

Zu Eltz:
Mir geht es auch immer wieder so. Ich bin so in der Wolle gefärbt katholisch und hatte jahrzehntelang ungebrochenes Zutrauen zum Lehramt und zu der vom Heiligen Geist gewährleisteten Wahrheit dort, so dass es mir überhaupt nicht leichtfällt, in dieser Frage von dem abzuweichen, was meine Kirche lehrt. Ich frage mich schon manchmal, ob ich nicht den abwegigeren Weg gegen den Strom gehen müsste. Ich finde aber, dass ich mir solche Zweifel und Unsicherheiten leisten muss, um nicht im Guten zu verhärten.

Was raten Sie Gläubigen, die sich in ihrer Haltung zur Homosexualität noch unsicher sind?

Thurn:
Das Entscheidende sind Begegnungen: mit homosexuellen Menschen und Paaren zu reden, ihre Glaubensgeschichte, aber auch ihre Leidensgeschichte mit der Kirche zu hören. Wenn Menschen trotz der Verletzungen, die ihnen die Kirche zugefügt hat, sagen „Wir wollen so sehr dazugehören, dass wir innerhalb dieser Institution den Segen erbitten“, dann ist das großartig. Und ein starkes Glaubenszeugnis.

Zu Eltz:
Diesen Punkt kann ich nur unterstreichen. Meist ändert sich die ganze Welt durch das persönliche Kennenlernen. Man muss den Leuten, die man am liebsten verstoßen und loshaben will, das ins Gesicht sagen und in die Augen gucken. So erging es auch mir.

Inwiefern?

Zu Eltz: Wir haben in Frankfurt ein jahrzehntealtes Projekt: „Schwul und Katholisch“. Zu den Aufgaben des Stadtdekans gehört es, einmal jährlich eine Eucharistie mit den Mitgliedern zu feiern. Als ich vor zwölf Jahren hierher kam, war ich – wie Saulus, bevor er Paulus wurde – gesonnen, das alles zu verhindern und zu vernichten. Aber „das alles“ sind halt Menschen und in diesem Fall katholische Christen. Die Begegnung mit ihnen in der Eucharistiefeier hat dann erheblich zu meiner Bekehrung beigetragen.

Was tun Sie heute, damit Homosexuelle das Gefühl haben, in der Kirche willkommen zu sein?

Zu Eltz:Es gibt verschiedene Seelsorge- und Gesprächsangebote in der Stadtkirche. Ansonsten trage ich indirekt dazu bei, indem ich über das, was meine Mitmenschen in der Seelsorge tun, um homosexuellen Paaren gerecht zu werden, so gut es geht meine Hand halte.

Das Gespräch führte Kerstin Ostendorf.

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