Redaktion der pilger

Mittwoch, 22. Februar 2023

Abschied aus der politischen Komfortzone

(Foto: tiero@adobestock.com )

Ein Jahr russischer Überfall auf die Ukraine – Ein Lernprozess angesichts der irrealen Ziele Putins

Exakt ein Jahr ist es her, dass Russland seinen verbrecherischen Überfall auf die Ukraine gestartet hat. Praktisch bis zum Tag vor Kriegsbeginn glaubten nicht wenige in der deutschen und europäischen Politik noch immer daran, das würde nicht passieren. Und als der russische Einmarsch begonnen hatte, waren viel mehr Politiker, als es heute zugeben, der Meinung, dieser Krieg werde nicht allzu lange dauern, weil die Ukraine der russischen Übermacht nichts entgegen zu setzen habe. Diese beiden grundlegenden Irrtümer bestimmten für lange Zeit zumindest unterschwellig die Haltung zu dem Geschehen in der Ukraine.

Putins Überfall zertrampelt nicht nur Völkerrecht und Zivilisation. Es zerstört auch die Glaubenssätze der politischen Ordnung, auf die man im Westen seit dem Fall des eisernen Vorhangs die europäische Sicherheitspolitik gebaut hatte. Und dann zwang der unglaubliche Widerstand der Ukrainer doch noch dazu, als Unterstützer Farbe zu bekennen, ohne selbst zur Kriegspartei zu werden. Sich mit dem einen abzufinden und sich in das andere hinein zu finden ist ein Prozess, der bis heute anhält. Noch immer hat man große Schwierigkeiten damit.

Das betrifft nicht nur die Politik. Schaut man sich die Umfragewerte an, dann kommt man in der deutschen Öffentlichkeit zwar auf eine einigermaßen solide Mehrheit für die bisherige Unterstützung der Ukraine. Es gibt aber eine skeptische Minderheit in einer Größenordnung, die man keinesfalls missachten darf. Und auf deren Boden politische Initiativen wie das jüngste Manifest von Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer wachsen, die sehr viel Zuspruch für ihre Forderung nach sofortigen Friedensinitiativen und diplo- matischen Verhandlungen erhalten.

Es gibt keinen Grund, solchen Initiativen abschätzig zu begegnen. Im Gegenteil: Sie holen eine manchmal allzu militärisch geprägte Diskussion in den politischen Raum zurück – wo dieses Thema auch hingehört. Es zwingt zur Diskussion über eine Standortbestimmung in der Politik angesichts einer sicherheitstechnischen Situation, die sich dramatisch verändert hat. Es geht auch um den inhaltlichen Abschied von den Prämissen der Vergangenheit, die eigentlich schon mit der Annexion der Krim durch Russland im Jahr 2014 vorbei war. Nur wollte das damals keiner wahr haben. Zumindest nicht im Westen. Den Ukrainern, Polen und Balten hat damals keiner zugehört.

Für eine Veränderung der Standortbestimmung hätte es gereicht, Putin schon vorher so ernst zu nehmen, wie es sein Überfall auf die Ukraine nun erzwingt. Der russische Präsident hat schon vor längerer Zeit den Untergang der Sowjetunion als die größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts bezeichnet. Das war nicht die Feststellung eines Hobby-Historikers. Der Mann sieht das realpolitisch tatsächlich so, und er nimmt es zum Ausgangspunkt für eine aus seiner Sicht notwendige Korrektur der Geschichte. In dieser Konsequenz forderte er noch vor dem Ukraine-Überfall per Brief die NATO und die EU dazu auf, sich auf die Linien von 1991 zurück zu ziehen. Und sich selbst und seine Politik sieht er – wie er in historisierenden Vorträgen schon ausgebreitet hat – in zaristischer Tradition der Ausbreitung Russlands und in der Beherrschung von Einfluss-Sphären drumherum.

Aus dieser Perspektive muss nicht nur der Überfall auf die Ukraine und die Unterstützung des Westens für das bedrohte Land gesehen werden. Vor diesem Hintergrund müssen auch alle Vorschläge und Initiativen bestehen, die Waffenstillstand fordern oder Friedensverhandlungen verlangen – beides honorige und humanitäre Anliegen. Sie müssen aber immer auch Antworten darauf geben, welchen Preis zu zahlen man von der Ukraine dafür erwartet – und ob das nicht eine große Anmaßung ist. Und es müssen Antworten darauf gegeben werden, wie man mit den irrealen, nicht verhandelbaren größeren Zielen Putins umzugehen gedenkt.

Die Zeitenwende erfordert auch den Abschied aus der politischen Komfortzone und die Beschäftigung mit Fakten und daraus resultierenden Schlussfolgerungen, die alles andere als angenehm sind. Aber das ist der deutlich geringere Preis als der, den die Ukrainer zahlen – und denen man nicht in den Rücken fallen darf. Auch nicht intellektuell. (Stefan Dreizehnter)

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