Dienstag, 21. März 2023
Bistum und Pfarrei machen Missbrauch öffentlich

Sexualisierte Gewalt lässt die Betroffenen seelisch tief verletzt zurück. Viele leiden ein Leben lang unter den Folgen des Missbrauchs. Symbolfoto: pololia / AdobeStock.com
Das Pastoralteam der Pfarrei Germersheim macht gemeinsam mit Bistumsvertretern den Fall eines Priesters öffentlich, der mehrfach in den damaligen Pfarreien Germersheim und Sondernheim sexuelle Handlungen an Jugendlichen beging.
Dekan Jörg Rubeck und Pastoralreferent Thomas Bauer von der Pfarrei Germersheim-Seliger Paul-Josef Nardini sprachen in einem Pressegespräch am 14. März von großer Erschütterung und belastenden wie beschämenden Informationen: „Ja, es gab hier, in diesem Bereich, für den wir heute verantwortlich sind, in den 70er und 80er-Jahren Missbrauch“, so Thomas Bauer. Die pastoralen Mitarbeiter der Pfarrei Germersheim wenden sich auch hier mit einem Offenen Brief an die Pfarrangehörigen und an die weitere Öffentlichkeit.
Der Priester gesteht die Taten
Wie im Pressegespräch bekannt gegeben wurde, stammten erste Hinweise auf den viele Jahre zurückliegenden Missbrauch aus dem Februar 2010: Während eines Trauergesprächs wurde dies einem damaligen Germersheimer Seelsorger gegenüber geäußert. Er unterrichtete sofort die Personalabteilung des Bistums. In einem zwei Tage darauf anberaumten Gespräch mit dem beschuldigten Priester räumte dieser ein, sich von 1972 bis etwa 1985 an mehreren Jungen vergangen zu haben. Das Ordinariat leitete eine kirchenrechtliche Untersuchung ein. Sie förderte zutage, dass die Personalakten des Priesters keinerlei Hinweise in dieser Richtung enthielten.
Die Untersuchung schloss mit einem Strafbefehl: Dem Pfarrer im Ruhestand ist ein Kontaktverbot gegenüber Minderjährigen auferlegt worden. Er musste eine Geldstrafe von etwa 1 000 Euro an eine karitative Einrichtung und Leistungen in Anerkennung des Leids der Betroffenen zahlen. Nach Bistumsangaben handelt es sich um Summen im vierstelligen Bereich. Die Höhe setzt eine unabhängige, bundesweit zuständige Kommission fest.
Bislang sind Übergriffe auf vier Betroffene bekannt
Insgesamt meldeten sich in den Jahren 2010, 2011 und 2021 drei Betroffene. Zum Zeitpunkt der sexuellen Übergriffe waren sie 13, 15 und 20 Jahre alt. In 2021 meldete sich zusätzlich ein Familienmitglied eines vierten Betroffenen. Wie die Betroffenen schilderten, fanden die Übergriffe zum Teil in der Wohnung des Priesters statt, wohin dieser die Jungen zu Übernachtungen eingeladen hatte. Bei einer dieser Gelegenheiten griff der Erwachsene in die Unterhose des Jugendlichen und an dessen Geschlechtsteil. Bei einem anderen Betroffenen gab er „Atemübungen“ und „Stimmbildung“ vor und wollte dann mit dem Jungen in einem Bett schlafen und ihn zum Ausziehen des Schlafanzugs bewegen. Beides lehnte der Junge ab. Anschließend masturbierte der Mann im Beisein des Jungen.
Strafrechtlich sind alle bekannten Übergriffe bereits seit Mitte der 1990er Jahre verjährt. „Kirchlich verjähren sie nicht“, betonte die Interventionsbeauftragte Hanna Wachter vom Bischöflichen Rechtsamt. Das Bistum, so Wachter, gehe mutmaßlich von weiteren Taten aus. Auch die Pfarrei rechnet damit, dass sich weitere Betroffene oder Angehörige melden, wenn die sexuellen Übergriffe jetzt öffentlich werden (siehe Kasten unten links). Auch das Pastoralteam stehe zu Gesprächen bereit, unterstrich Pastoralreferentin Irina Manck.
Generalvikar Markus Magin zeigte sich dankbar, „dass sich die Pfarrei dieser Verantwortung stellt“. Für das Bistum gelte es, ein Verfahren zu finden, wie auf weitere Gemeinden zugegangen werde, in denen Kirchenmitarbeiter sexualisierte Gewalt ausgeübt hätten. Magin schlug einen Bogen zur Erarbeitung des Schutzkonzepts „Kirche – sicherer Ort“, ein Auftrag des Bischofs an alle Pfarreien. Ihren Schritt an die Öffentlichkeit verbinden die Germersheimer mit dem Konzept: „Um das Schutzkonzept zu erarbeiten, müssen wir unsere Vergangenheit kennen. Wir können nicht an diesem Konzept feilen und zu früheren Vorfällen schweigen“, betonte Pastoralreferentin Manck, die für das Konzept im Pastoralteam zuständig ist.
Anzeigen bei der Staatsanwaltschaft
Seit 2018 besteht eine Absprache zwischen den Staatsanwaltschaften und dem Bistum zu bisherigen und neuen Fällen sowie Verdachtsfällen. Hanna Wachter: „Wir zeigen alles an, selbst wenn es verjährt sein könnte, um vorzubeugen, dass etwas übersehen wird. Wichtig ist, dass alles staatlicherseits unabhängig geprüft wird“. Also wurden alle, später auch die 2021 gemeldeten Taten des Priesters angezeigt.
Im September 2018 wurde die von der Bischofskonferenz beauftragte MHG-Studie veröffentlicht. Dem Schock über die Ausmaße der sexualisierten Gewalt im Raum der Kirche folgte eine Neubewertung und eine „zunehmende Konsequenz“, wie es Markus Magin formulierte. Im Fall des geständigen Mannes folgte daher Ende September 2018 ein umfassendes Tätigkeitsverbot, der Ruheständler darf nicht mehr als Priester tätig werden. (hm)
Betroffene und deren Angehörige können sich an folgende Kontaktstellen wenden:
Unabhängige Ansprechpartnerin des Bistums Dorothea Küppers-Lehmann,
Telefon 0151/14880014, ansprechpartnerin@bistum-speyer.de
Betroffenenbeirat des Bistums Speyer, Postfach 1122, 66558 Ottweiler,
Telefon 0151/144668058, betroffenenbeirat-speyer@gmx.de
Externe, nichtkirchliche Beratung: SOS-Kinderdorf e.V., Familienhilfezentrum Kaiserslautern, Telefon 0631/316440, beratung.kjh-kaiserslautern@sos-kinderdorf.de
Kinderschutzdienst Germersheim (Caritas-Zentrum Germersheim), Telefon 07274/94910, kinderschutzdienst.germersheim@caritas-speyer.de
Seelsorger der Pfarrei Germersheim, Telefon 07274/9485330, Notfallhandy der Seelsorger: 0176/66024810, pfarramt.germersheim@bistum-speyer.de