Donnerstag, 01. Juli 2021
„Er soll? Oder wird er auch?“
#BTW2021 – in loser Folge erscheinen bis zur Bundestagswahl Impulse zu zentralen Zukunftsthemen. Heute geht es um nationale Zielsetzungen beim Klimaschutz, dem zentralen Zukunftsthema schlechthin.
Es ist Mittwoch-Abend. Halbzeitpause im Spiel Deutschland gegen Ungarn. Deutschland liegt zurück. Das heute journal füllt die Pause und Gundula Gause berichtet über neue Klimaziele des Bundeskabinetts: „Der CO2-Ausstoß soll demnach bis 2030 um 65% im Vergleich zu 1990 sinken. Bis 2040 um 88%.“
Mein Sohn horcht auf und fragt: „Er soll? Oder wird er auch?“
Der CO2-Ausstoß soll kräftig sinken. Aber ob er es auch tut? Wird dafür genug getan? Kann man darauf vertrauen? Diese Fragen muss man sich stellen und viele junge Menschen, die 2019 weltweit immer wieder freitags für mehr Klimaschutz auf die Straße gingen, stellten diese Fragen - bis sie pandemiebedingt nicht mehr auf die Straße gehen durften. Sie protestierten gegen eine Politik, die ihre Zukunft verspielt. Sie haben die Dramatik der Entwicklung verstanden. Sie hörten den nicht sehr klugen Spruch, dass Klimaschutz eine Sache für Profis sei, und sehen: Die deutsche Politik tut zu wenig, um Deutschland auf den in Paris vereinbarten 1,5°-Pfad zu bringen. Die für 2020 zu verzeichnende pandemiebedingte CO2-Reduktion ist nicht von Dauer. Es gibt an den entscheidenden Stellen bisher zu wenige echte Klimaschutz-Profis in der Politik.
„Nein, so geht es nicht“, sagte das Bundesverfassungsgericht im Frühjahr dieses Jahres. „Man kann die notwendigen Maßnahmen nicht einfach in die Zukunft verschieben. Das würde völlig unverhältnismäßig die Freiheit der folgenden Generationen beeinträchtigen.“ Juristisch war das eine Sensation. Entsprechend aufgescheucht sprachen sich fast alle relevanten Parteien plötzlich für mehr Klimaschutz aus. Man konnte kurzzeitig den Eindruck haben, dass jede Partei alle anderen Parteien beim Klimaschutz übertreffen möchte. Neue Ziele wurden formuliert, denn die Lage ist sehr einfach beschreibbar (vgl. Basisfakten zum Klimawandel):
- Der Klimawandel ist real.
- Wir Menschen sind die Ursache.
- Er ist gefährlich.
- Die Fachleute sind sich einig.
- Wir können noch etwas tun.
Wir können noch etwas tun. Das Formulieren von Zielen ist der Anfang. Sie zu formulieren ist auch einfach. Doch dann kommt es darauf an, was man unternimmt, um die Ziele zu erreichen.
Es bedarf zeitnah konkreter Maßnahmen, die sicherstellen, dass die Ziele in den vorgesehenen Zeiträumen tatsächlich erreicht werden. Keine Absichtserklärungen. Kein Hoffen auf Technologien, die vielleicht irgendwann einmal zur Verfügung stehen werden. Es muss sehr kurzfristig eine sehr große Anzahl an konkreten Maßnahmen geben. Die Produktion von grünem Strom muss schnellstens massiv gesteigert werden. Es wird Maßnahmen geben müssen, die nicht nur auf Begeisterung stoßen. Es muss ehrlich gesagt werden, dass sich viele Bereiche unseres Lebens sehr grundlegend ändern müssen. Gesprochen wird hierbei von der ökologisch-sozialen Transformation - und gemeint ist die ökologische Transformation hin zu CO2-neutralen Gesellschaften bei einer gleichzeitig sozialen Transformation, die die Lasten und Zumutungen dieser ökologischen Transformation national und international fair verteilt. Jede Stellschraube, an der für einen niedrigeren CO2-Ausstoß gedreht werden kann, muss gedreht werden, denn die eine, phantastische, erlösende Super-CO2-Reduktionslösung gibt es nicht. Für zögerliche Diskussionen ist keine Zeit mehr übrig. Parteien, die den Eindruck erwecken, alles könne so weiterlaufen, wie man es gewohnt ist, sagen wissentlich die Unwahrheit, denn die wissenschaftlichen Fakten sagen das Gegenteil: Klimaschutz geht nicht mehr nebenbei. Dafür wurde zu lange getrödelt. Deutschland liegt zurück - sagt mit anderen Worten auch Angela Merkel im Juni 2021: "Wenn ich mir die Situation anschaue, kann kein Mensch sagen, dass wir genug getan haben.“
So viel Ehrlichkeit ist vorbildlich, dennoch muss klar benannt werden, wer mit "wir" gemeint ist: "Wir“ sind die Regierungen unter Führung von Angela Merkel seit 2005. Deren Klimapolitik ist verfassungswidrig und doch spricht bisher nichts dafür, dass sich die Politik von CDU/CSU nun trotz neuer Ziele grundlegend ändern wird.
Nun wären auch und gerade die Kirchen gefordert. Es genügt nicht mehr, gelegentlich Appelle für die Bewahrung der Schöpfung zu formulieren. Es genügt nicht, auf die Inhalte der Enzyklika Laudato si' zu verweisen. Die Bedeutung des Themas verlangt nach Prioritätensetzung. Die Kirchen müssen klarstellen, dass Klimaschutz nicht ein Thema unter 1000 anderen gleichbedeutenden Themen ist, sondern die zentrale Zukunftsfrage. Die wissenschaftlichen Fakten sind bekannt und doch ist weder gesamtgesellschaftlich noch kirchenintern bisher wahrnehmbar, dass der hohe Handlungsdruck in ausreichendem Maße verstanden wurde: Das für das 1,5°-Ziel noch verfügbare CO2-Budget ist Mitte 2029 aufgebraucht. Die Kirchen müssen deutlich machen, in welch kritischer Phase sich der Klimawandel inzwischen befindet: 1,1° C Temperaturanstieg sind bereits erreicht und die Jahre 2018-2020 haben auch hierzulande eine Ahnung ermöglicht, was Klimawandel (in seinen Anfängen) bedeutet.
Und die Kirchen müssen politisch agieren. Klimapolitik wird in Berlin (und allen anderen Hauptstädten der Welt) gemacht. Hier fallen die relevanten Entscheidungen. Die Kirchen müssen aus eigener Verantwortung deutlich machen, dass ein politisches "Weiter so" nicht zielführend ist. "Nach mir die Sintflut" ist keine christliche Position. Die riesige Dimension der Aufgabe und die existentielle Bedeutung ihrer erfolgreichen Bewältigung verlangen klare Positionierungen. Die Kirchen müssen gesellschaftliche Relevanz zeigen und klar sagen, mit welchen Parteien Klimaschutz möglich ist und mit welchen dieser scheitern wird. Keine vermeintlich neutrale Zurückhaltung, sondern klare politische Positionierung. Es muss politisch Farbe bekannt werden. Wer (richtigerweise) an der Seite von fridays for future beim Klimastreik mitmacht, kann bei der klaren politischen Positionierung nicht kneifen. Politische Neutralität führt nicht zu mehr Klimaschutz und bringt die sozial-ökologische Transformation nicht voran. Selten war eine Bundestagswahl so wichtig. Jedes Zehntelgrad zählt. Im Grunde müsste jeder Bischof und jeder Generalvikar bei jeder sich bietenden Gelegenheit bis zu Bundestagswahl sagen:
"Liebe Schwestern und Brüder,
der Klimawandel ist real.
Wir Menschen sind die Ursache.
Der Klimawandel ist hochgefährlich.
Die Fachleute sind sich einig.
Wir können noch etwas tun und es ist ein Verbrechen, dies zu unterlassen.
Ein Verbrechen gegen die nachfolgenden Generationen.
Ein Verbrechen gegen die Schöpfung.
Ein Verbrechen gegen die Menschen in den (überwiegend armen) Regionen der Welt, die durch den Klimawandel besonders betroffen sein werden.
Der Kampf gegen den Klimawandel ist die zentrale Zukunftsfrage der nächsten Jahrzehnte und jetzt müssen die Maßnahmen eingeleitet werden, um ihn auf ein erträgliches Maß zu begrenzen. Als Christen haben wir Verantwortung für die Welt. Da die Politik es bisher nicht geschafft hat, beim Klimaschutz glaubwürdig und effektiv zu agieren, ist es Zeit für einen Politikwechsel. Nutzen Sie Ihr Stimmrecht verantwortlich."
Ingo Faus
Leiter der Abteilung Erwachsenenbildung und Hochschulen
Zum Weiterlesen:
- Analysen und Kommentare zum Wahlprogramm von CDU/CSU mit Blick auf den Klimaschutz: Radikal im Nichtstun und Union schenkt Klima im Wahlprogramm wenig Beachtung und Das Ziel ist der Weg und Warum CDU und CSU keine Klimaschutzparteien sind
- Absehbare Folgen, wenn das 1,5°-Ziel verfehlt wird: Weltklimarat warnt vor "irreversiblen" Folgen bei Erderwärmung von über 1,5 Grad
- Wo stehen die Kirchen? Kirche in der Klimakrise
- Kommission Weltkirche der Deutschen Bischofskonferenz (Hg.): Wie sozial-ökologische Transformation gelingen kann
- Dr. Thomas Steinforth betont im Blog "Sinn und Gesellschaft" des Heinrich Pesch Hauses die Notwendigkeit eines sozialen Ausgleichs beim Klimaschutz: Klimaschutz – aber bitte fair und sozial!
- Echte Profis: Profis sind für Klimaschutz
- Die Perspektive der Berliner Gruppe von fridays for future auf das Wahlprogramm von CDU/CSU: Wir machen Klimaschutz wie bisher - nämlich gar nicht
- Basisfakten zum Klimawandel, die in der Wissenschaft unumstritten sind: Was wir heute übers Klima wissen
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