Freitag, 05. Mai 2023
Blaue Flecken und neue Chancen
Gedanken zu einem Gesprächsabend mit Stephanie Rieth (Bevollmächtigte des Generalvikars, Bistum Mainz)
„Bei dem, was wir da tun, holen wir uns auch mal blaue Flecken …“, sagt Stephanie Rieth, lächelt und zuckt mit den Schultern.
Gemeinsam mit circa 20 anderen Personen saß ich am 17. April bei einer KEB-Veranstaltung im Friedrich-Spee-Haus in Speyer und lauschte Stephanie Rieths Worten, die mich sehr nachdenklich gemacht haben.
Stephanie Rieth ist im Bistum Mainz als Bevollmächtigte des Generalvikars (neben dem Generalvikar selbst und dem Bischof) eine der drei wichtigsten Personen in der Bistumsleitung. Neben kirchenrechtlichen Erläuterungen, wie das Amt der*des Bevollmächtigten des Generalvikars in der Bistumsarchitektur verankert wurde, sprach sie an diesem Abend auch offen darüber, welche Veränderungen und gelegentlich auch Kompromisse es bedeutet, wenn man eine Diözese im Sechs-Augen-Prinzip leiten möchte und es mit der Partizipation wirklich ernst meint. Denn ernst meinen es im Bistum Mainz alle drei – Bischof, Generalvikar und Bevollmächtigte – und nehmen dabei in Kauf, dass Entscheidungen nicht nebenbei im Alleingang getroffen werden können. Blaue Flecken gibt es dann, wenn bei Entscheidungen unterschiedliche Meinungen im Raum stehen, wenn um eine Lösung oder einen Kompromiss gerungen werden muss oder wenn Außenstehende nichts übrig haben für das neue Modell. Das, so Stephanie Rieth, nehmen die drei aber gerne in Kauf, denn Entscheidungen auf mehrere Schultern zu verteilen, lohne sich und sei für alle Beteiligten am Ende doch eine große Entlastung. Außerdem wollen sie damit den Menschen im Bistum Mainz Mut machen, Leitung neu zu denken und Strukturen zu verändern. Sie wollen zeigen, dass es sich lohnt, blaue Flecken, Fehler und Startschwierigkeiten in Kauf zu nehmen, wenn es darum geht, Kirche zu verändern, mehr Partizipation zu ermöglichen und zukunftsfähig zu werden.
Das muss als kurze inhaltliche Zusammenfassung genügen. Es gibt nämlich – über die bloße Sache hinaus – mehrere Dinge, die mich noch immer verwundern und – im zweiten Schritt – begeistern. Davon möchte ich berichten:
Ich war überrascht davon, wie offen und ehrlich Stephanie Rieth von ihrer Aufgabe erzählt hat. Sicher, sie steht für das ein, was sie tut, und glaubt an ihr neues Leitungsmodell. Dennoch aber hat sie nicht aus dem Blick verloren, wo Schwierigkeiten sind, wo es Lernfelder für sie und ihre beiden Kollegen gibt, wo Pannen passieren. Und das allerbeste: Sie spricht offen darüber und zeichnet damit das Bild einer reflektierenden Kirche, die ihre Schwächen sieht, die eine Fehlerkultur etabliert und die versucht, an sich und an den Problemen so zu wachsen, dass sie zum Wohle der Menschen immer besser wird. Wer ihr an diesem Abend zugehört hat, konnte einen authentischen offenen Menschen erleben, der sich nicht zu schade ist, zuzugeben, dass manche Entscheidungen weh tun, dass das Privatleben in einer solchen Position auch mal erheblich zurückstecken muss oder Angriffe aus verschiedenen Richtungen nicht einfach abprallen, sondern auch Menschen in Leitungsverantwortung begleiten und verletzen.
Es war beeindruckend, wie angenehm und locker das Gespräch mit Stephanie Rieth war und ich habe mich beim darüber Nachdenken prompt dabei ertappt, dass ich während des Abends selbst offenbar völlig vergessen hatte, dass vor mir eine Person im Rang des Generalvikars sitzt. Normalerweise zucken viele Menschen im kirchlichen Bereich zusammen, wenn Bischof oder Generalvikar den Raum betreten: Ein Würdenträger ist da! Nun gilt es über die Maßen höflich, klug, sprachgewandt und vor allem eher bedacht und nicht ganz so „frei von der Leber weg“ zu sein. Dass das so ist, liegt sicher nicht nur an den Amtsträger*innen, sondern auch daran, dass viele Menschen – und da nehme ich mich nicht aus – in vorauseilendem Gehorsam anders reagieren, wenn sie mit einem Bischof oder Generalvikar und nicht mit dem*der Arbeitskolleg*in reden. Irgendwie neige auch ich dann dazu, eher angepasst zu sein … Ein Stück weit ist das eine anerzogene Tradition und hat sicher auch seine Berechtigung – Höflichkeit – egal wem gegenüber – hat bisher eben noch niemandem geschadet. Übersteigert man all das aber und wird dadurch im Umgang mit Würdenträgern unfrei, landet man in einem System, wie es die Kirche leider zu oft ist: hierarchisch, undurchlässig, schwergängig … Dieses System zu durchbrechen ist kräftezehrend und bedarf des Mutes auf allen Seiten. Ich wünsche mir deshalb unbedingt Bischöfe und Generalvikare, die nicht müde werden einen wertschätzenden Diskussionsraum zu öffnen, die – wie in Mainz – Macht bereitwillig teilen und die zeigen, dass sie einfach nur ganz normale Menschen sind, mit denen man sich austauschen und auch mal streiten kann. Und ich wünsche mir ein Kirchenvolk, das seinen Würdenträger*innen genau das zugesteht.
Ich brauche keine Held*innen, die alles locker wegstecken, sondern Menschen, die authentisch und nahbar sind. Dann fällt es mir auch leichter, mich nicht machtlos zurückzulehnen, sondern mein Mandat zu ergreifen und einzustehen für eine Kirche der Getauften, in der alle ein Mitspracherecht haben.
Am 17. April – so wird mir im Nachhinein klar – konnte ich mit den Erzählungen aus Mainz einen Blick auf eine Kirche erhaschen, wie ich sie mir zukünftig überall wünschen würde. Denn Stephanie Rieth ist mit ihrem anderen Blick, mit ihrer Authentizität und mit der Tatsache, nicht geweiht und dadurch nicht per se in den Köpfen der Menschen schon überhöht zu sein, eine riesige Chance für ihr Bistum. Schon allein dadurch, dass sie da ist und neben Bischof und Generalvikar in Leitungsverantwortung ihren Dienst tut, verändert sich der Blick der Menschen auf die Bistumsleitung und es verändert sich der Blick der Bistumsleitung auf die Menschen.
Was kann es Schöneres geben, als diese Vielfalt zuzulassen, übersteigerte Hierarchien hin zu einem neuen Miteinander abzubauen und dadurch neue Chancen für eine Kirche der Gegenwart und der Zukunft zu entwickeln?
Sonja Haub, Bildungsreferentin KEB Pfalz
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