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Fatima - Ort der berühmten Seherkinder
Fatima ist der berühmteste Wallfahrtsort Portugals. In der Nähe der Kleinstadt zwischen Lissabon und Coimbra berichteten 1917 drei Hirtenkinder im Alter zwischen sieben und zehn Jahren, ihnen sei die Gottesmutter Maria erschienen. Die erste Erscheinung fand demnach am 13. Mai statt; das Ereignis wiederholte sich im Monatsrhythmus über ein halbes Jahr. Durch Mundpropaganda wurden die Kinder und der Ort berühmt. Tausende pilgerten nach Fatima.
Bei der Erscheinung am 13. Juli sprach Maria den Angaben zufolge Prophezeiungen aus, die als "Geheimnisse von Fatima " bekannt wurden. Als der Bürgermeister des Ortes die Kinder im August für einige Tage entführte, um den vermeintlichen Spuk zu beenden, nahm ihre Popularität noch mehr zu. Am 13. Oktober 1917 kamen mehrere Zehntausend Menschen und beobachteten ein unerklärliches Sonnenphänomen. Danach hörten die Erscheinungen auf.
Zwei der Seherkinder, die Geschwister Francisco und Jacinta Marto, starben bereits 1919 beziehungsweise 1920. Die dritte Seherin, ihre Cousine Lucia dos Santos, lebte bis 2005 als Ordensschwester in Coimbra. 1930 erkannte der Bischof von Leiria die Erscheinungen an. Fatima entwickelte sich seither zu einem der bedeutendsten Marienorte der Welt.
Marienerscheinungen und die Kirche
Marienerscheinungen werden seit dem 18. Jahrhundert zu den "Privatoffenbarungen" gezählt. Als solche werfen sie große theologische Probleme auf, da Gottes Offenbarung nach klassischer Lehre mit dem Tod des letzten Apostels an ihr Ende gekommen ist. Das kirchliche Lehramt trennt daher scharf zwischen Offenbarung und Privatoffenbarungen. Letztere können nach katholischer Lehre die ursprüngliche Offenbarung nur in Erinnerung rufen, erklären oder aktualisieren. Auch steht es laut Weltkatechismus jedem Katholiken frei, an solche Privatoffenbarungen zu glauben oder eben nicht - auch wenn die Kirche sie als gesichert ansieht.
Das gilt auch für Lourdes, wo der Schafhirtin Bernadette Soubirous 1858 insgesamt 18 mal die "Unbefleckte Empfängnis" erschienen sein soll. Kritiker wie der Historiker David Blackbourn sehen in Lourdes eine Art Schema aller nachfolgenden Erscheinungen: eine einfältige Seherin aus dem Volk, geprägt durch Armut, Krankheit, Vernachlässigung und rohe Behandlung durch Eltern und Umwelt; Mitteilung einer frommen Botschaft, Heilwasser und Bau eines Heiligtums (Quelle und Kapelle); Ablehnung durch den Pfarrer und die Zivilbehörden, Berichte von Wunderheilungen und schließlich die Errichtung eines offiziellen kirchlichen Kults.
Marienerscheinungen konkurrieren in der Volksfrömmigkeit mit den sogenannten Gnadenbildern, bei denen sich um ein Bild oder eine Statue der Muttergottes eine Wallfahrtsstätte entwickelt. Erste Berichte über Marienerscheinungen lassen sich bis ins frühe Christentum zurückverfolgen. Bereits im Jahr 41 soll Maria dem heiligen Jakobus auf einer Säule erschienen sein, während er in Spanien missioniert habe. Das Mittelalter hindurch blieb der typische Marien-Visionär männlich, erwachsen, zumeist Kleriker.
Ab etwa 1400 setzt sich allmählich das moderne Erscheinungsbild durch: Mädchen aus dem einfachen Volk sind die "Auserwählten", Hirten zumeist, der Ort einsam gelegen in Wald und Flur. Beispiele sind das Alpendorf La Salette 1846, das Pyrenäendorf Lourdes 1858 oder das saarländische Marpingen 1876. Experten sehen die Erscheinungen in zeitlichem Zusammenhang mit wirtschaftlichen und politischen Krisen: Hungersnöten, Cholera, Missernten. Eine Häufung gebe es in den 1860er und 1870er Jahren, im Ersten Weltkrieg oder dem Krisenjahr 1933.
Ihre Zahl geht europaweit in die Hunderte, mit Spitzen in den katholischen Ländern Italien und Frankreich. Dennoch erlangten nur die wenigsten Erscheinungen - oder vielmehr die darin verkündeten Botschaften, wie der Dogmatiker und Marienforscher Wolfgang Beinert präzisiert - die kirchliche Approbation. In Frankreich waren es La Salette, Lourdes und Pontmain (1871). Mit ihnen wurde die Proklamation des Dogmas von der Unbefleckten Empfängnis von 1854 vorbereitet beziehungsweise besiegelt. Zugleich gelang es den Bischöfen, die regelrechte Marien-Welle allmählich zu kanalisieren - etwa durch die Gründung von Marienkongregationen.
1930 wurden die Visionen von drei Hirtenkindern 1917 im portugiesischen Fatima, das Papst Benedikt XVI. diese Woche besucht, kirchlich anerkannt; bald darauf die belgischen Erscheinungen von Beauraing 1932 und Banneux 1933. Sie alle ähneln dem Ablauf von Lourdes. Seitdem ist keiner weiteren Erscheinung die offizielle Genehmigung zuteil geworden. Ein besonderer Fall ist Medjugorje in Bosnien-Herzegowina. Hier dauern seit 1981 die angeblichen Erscheinungen nach Darstellung der Seher bis heute an.
Ein "deutsches Lourdes" gibt es nach wie vor nicht: Nachdem der Brite Blackbourn 1997 die fast vergessene Geschichte Marpingens aus dem Schatten der Vergangenheit holte und zu einem sozialhistorischen Phänomen der Kulturkampfzeit erklärte, fanden sich 1999 drei neue "Seherinnen". 1876 hatten drei Marpinger Kinder von Marienerscheinungen berichtet und damit binnen einer Woche Zehntausende in den Härtelwald gezogen. Am Ende ließ Reichskanzler Otto von Bismarck das preußische Heer aufmarschieren und den Zugang zum Wald sperren. 1999 kündigte der Trierer Bischof Hermann Josef Spital eine gründliche Prüfung an und verbot, von "Erscheinungen" und "Seherinnen" zu sprechen. Er nannte sie kühl die "Vorgänge im Härtelwald".